Christoph Freimann
Neu-Ulmer Spatz, 1986
Die Ausgangssituation für seine Stahlskulpturen gestaltet Christoph Freimann seit vielen Jahren bewusst gleich: Aus jeweils 12 handelsüblichen Winkeleisen des Typs ST 37 entwirft er eine Form. Diese im Profil L-förmigen und jeweils in Größe und Länge variierenden Metallelemente verbindet der Bildhauer zu einer gemeinsamen Konstruktion. Anschließend lackiert er diese Skulptur rot, im immer gleichen Farbton RAL 3000. Diese Vorgehensweise einer freiwilligen Beschränkung der künstlerischen Mittel kann man konstruktiv nennen. Der von Freimann strikt beibehaltene Ausgangspunkt führt im Resultat zu vielfältigen, variantenreichen Skulpturen. Zumeist zeigen sie offene, unfigürliche Strukturen. Mitunter nähern sie sich aber auch an figurative Motive wie Bäume oder Blitze an.
Mit seinen Skulpturen hat Freimann nicht nur Regeln für seine künstlerischen Möglichkeiten aufgestellt und ausgereizt, sondern sich auch an der Diskussion um bildhauerische Grundfragen beteiligt. Dreidimensionale Formen wie Kubus und Quader begreift er nicht vom plastischen Volumen her, sondern über ihre Konstruktion aus Linien und Flächen. Durch das freie Spiel mit diesen Winkelprofilen findet er immer neue Zuordnungen. Die Kombinationen der Elemente geben Antworten auf Fragen nach Volumen und Raum, Körper und Masse. Titel wie „Die Leichtigkeit der Masse“ oder „Bündelung“ zeugen von Freimanns künstlerischem Nachdenken über solche Grundlagen.
Freimanns „Neu-Ulmer Spatz“ hat wenig von dem, was man angesichts seines Titels erwarten könnte. Auf der Ulmer Seite sind zahlreiche illustrative Spatzen-Darstellungen zu finden. Sie formulieren ein bekanntes Thema mehr oder weniger neu und bilden ein Wahr- und Markenzeichen der Stadt Ulm. Auf der Neu-Ulmer Seite wirkt der Titel Freimanns wie ein Widerspruch: Braucht man im Städtemarketing wirklich Symbolfiguren wie den Ulmer Spatz? Erwartet man von solchen Bildern immer nur etwas Symbolisches? Das in den Himmel am Donauufer ragende und unten verbundene Bündel von Stahlwinkeln regt wie ein Baukasten dazu an, auf dem rechten Donauufer einen neuen Wurf zu versuchen. Ist der Titel „Neu-Ulmer Spatz“ dann vielleicht eher wie ein Arbeitstitel zu verstehen für etwas, was sich noch entwickeln kann?
Städte, die am Fluss einander gegenüber liegen, vergleichen sich gerne miteinander. Und oft heißt es dann: Das Schönste an X-Stadt ist die Aussicht auf Y-Stadt." Ob das auch für städtische Symbolfiguren und das damit verbundene Marketing gilt?
In Sichtweite zum „Neu-Ulmer Spatz“ sieht man auf der Ulmer Seite Freimanns „Ulmer Stadtindianer“ aus dem Jahr 1993. Was haben die Skulpturen miteinander zu tun – über das gemeinsame Konstruktionsprinzip hinaus? ein Blick lohnt auch auf die Bodenzone der Skulptur: welches Element ist in der Basis verankert, welches setzt lediglich auf ihr auf, welches ist an anderen Elementen befestigt?
Die Skulptur und ihr räumlicher Zusammenhang
Ulmer Seite: Freimanns "Ulmer Stadtindianer" aus dem Jahr 1993