Jozef Legrand
Ein szenischer Stadtsteg für Neu-Ulm, 2008
Mitten in der Stadt: orangefarbene Bänke, beleuchtet von Lampenschirmen, die an Wohnzimmer erinnern, großformatige Buchstaben in weiß auf einem roten Bodenbelag, der sich im befahrbaren Bereich der Maximilianstraße in grün fortsetzt. Der „Stadtsteg für Neu-Ulm“ des belgischen Künstlers Jozef Legrand fällt auf im Stadtbild. Die sechs Bänke mit dazugestellten Lampen nehmen die Formen einer monumentalen Inneneinrichtung an und unterscheiden sich deutlich von Sitzmöbeln oder Beleuchtungen, wie sie anderswo zum öffentlichen Raum gehören. Wer die Großbuchstaben liest, merkt schnell, dass es sich um Aussprüche handelt, die der Künstler so vor Ort gehört haben könnte: „Net gschimpft, isch globt genuag.“
„Raum ist für mich eine sehr wichtige, vermittelnde Instanz von Bedeutung.“ Jozef Legrand versteht sich als „Reality Maker“ – den Begriff hat er sich schützen lassen. Die Aktivitäten des Teilnehmers an der documenta X gehen über die engen Grenzen von bildender Kunst oder urbaner Landschaftsgestaltung hinaus. Besonders hebt er hervor, dass sein Anliegen das Auslösen kommunikativer und sozialer Prozesse ist – eben das Herstellen von Realität. Der „Stadtsteg für Neu-Ulm“ ist dabei eines seiner größten realisierten Projekte und setzt auf Partizipation. In der Tat hatte Legrand die Bevölkerung von Neu-Ulm dazu aufgerufen, Sätze für diese Beschriftung einzureichen.
Die Innenstadt zu einem Wohnzimmer machen: das ist eine Vision, die häufig in den Perspektivplänen von Städtebau und Kommunalplanung zu lesen ist. Immerhin ist ja auch die „Unwirtlichkeit“ der Innenstädte seit den 1960er-Jahren ein Schlagwort. Zwischen Kommerzialisierung und Verkehrslenkung, öffentlicher Sicherheit und Verdichtungsideen bestimmen ausdrücklich künstlerische, individuelle Perspektiven vergleichsweise selten die Diskussionen. Legrands stadträumliche Installation sammelt einige Statements – auch auf die Gefahr hin, dass sie nicht im Sinne dieser Diskussion argumentieren. Seine Bänke mit den Lampen laden dazu ein, den Stadtraum in ruhiger Betrachtung wahrzunehmen – ohne Fokussierung auf vorgegebene Highlights, wie sie beispielsweise die nahe gelegene Aussichtsplattform gleich jenseits des Donauwegs mit Blick auf den Schwal, die Insel in der Donau, anbietet. Die Umgebung des Maxplatzes ist dagegen eher unspektakulär: Neubauten, Altbauten, Anliegerverkehr. Aber gerade deshalb lässt sich diese Einrichtung des Stadtraums als Einladung wahrnehmen. Man könnte schlendernd in den Zitaten auf dem Boden stöbern und dabei angesichts der unterschiedlichen verwendeten Sprachen darüber nachdenken, aus welchen Regionen die Neu-Ulmer Bevölkerung stammt: „Ciao bella“, „Güle güle“ oder „Ausländer lasst uns bitte nicht allein.“ Man könnte sich aber auch niederlassen, einfach mal Pause machen. Fußgänger*innen, Radfahrer*innen und Jogger*innen machen ja ohnehin den Donauweg zu einer Art Laufsteg. „Du hast so tolle Beine“, liest man ja unter anderem auch auf dem Boden.
Abends scheinen sich die Impulse der Platzgestaltung zu ändern: Die Bodenbeschriftung fällt weniger ins Auge, das Licht hebt den Maxplatz gegenüber der Umgebung deutlich hervor. Welche Vorstellungen werden dann gegeben? Hört man eventuell neue Aussprüche – und sind sie zitierfähig?
Blick entlang der Straßenachse